Der NABU Hessen hat am 15. September scharfe Kritik an den Plänen der Landesregierung geübt, die Naturschutzleitlinie Wald massiv abzusenken. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Zahl der sogenannten Habitatbäume – alte oder strukturreiche Bäume, die Höhlen, Risse und Totholz aufweisen und damit unersetzliche Lebensräume für Spechte, Fledermäuse, Käfer oder Haselmäuse bieten.
Die aktuelle Leitlinie von 2022 schreibt im hessischen Staatswald den Erhalt von zehn Habitatbäumen pro Hektar in über 100-jährigen Laubwaldbeständen vor, in europäischen Natura-2000-Schutzgebieten sogar 15 pro Hektar. Diese Regelung war ein Meilenstein für den Naturschutz im Wald und wurde in der Vergangenheit auch von der Forstwirtschaft als Beleg für „integrierten Naturschutz“ angeführt.
Nach Auswertung des NABU Hessen sieht der Entwurf für eine neue Leitlinie nun vor, diese Zahl auf nur noch fünf Bäume pro Hektar zu reduzieren. Damit würden nach NABU-Berechnungen landesweit über 440.000 Habitatbäume zur Fällung freigegeben. Für den NABU Hessen ist dies ein klarer „Wortbruch“: Noch 2024 hatten Abgeordnete von CDU und SPD sowie Umweltminister Ingmar Jung im Landtag zugesichert, dass trotz des FSC-Moratoriums die bestehenden Standards erhalten bleiben. „Wenn jetzt genau das Gegenteil geschieht, verliert die Politik ihre Glaubwürdigkeit und die Wälder ihre Lebensadern“, kritisiert der NABU Hessen.
Hinweis: Grundlage dieser Einschätzungen sind die Auswertungen des NABU Hessen zum aktuellen Entwurf der Naturschutzleitlinie Wald.
Auch der Kreis Bergstraße wäre direkt betroffen
Diese Entwicklung macht nicht an den Kreisgrenzen halt. Auch im Kreis Bergstraße gibt es zahlreiche Staatswaldflächen und Natura-2000-Gebiete, die unmittelbar unter die Leitlinie fallen. „Wenn diese Pläne Realität werden, trifft es auch unsere Wälder im Kreis Bergstraße – und zwar genau dort, wo sie für Artenvielfalt und Klimaschutz besonders wichtig sind“, erklärt der NABU-Kreisvorsitzende Michael Kärchner.
Staatswaldflächen im Kreis unter Druck
Betroffen wären vor allem die Staatswaldflächen, die im Kreis Bergstraße von den Forstämtern Lampertheim und Michelstadt betreut werden. Gerade im Lampertheimer und Viernheimer Wald, aber auch in den Höhenlagen des Überwaldes und im Odenwald gibt es größere Bestände alter Laubwälder. Hier schreibt die Naturschutzleitlinie bislang den Erhalt von zehn Habitatbäumen pro Hektar vor, in Natura-2000-Gebieten sogar fünfzehn. „Würde diese Zahl auf fünf gesenkt, ginge auch in unserem Kreis eine kaum bezifferbare Zahl an wertvollen Lebensbäumen verloren“, so Kärchner.
Natura-2000-Gebiete besonders sensibel
Auch die Natura-2000-Schutzgebiete im Kreis Bergstraße wären stark betroffen. Dazu zählen etwa:
- das FFH-Gebiet Tromm im Überwald,
- der Odenwald bei Hirschhorn,
- die Weschnitzinsel bei Lorsch,
- die Maulbeeraue am Rhein,
- sowie Bruch- und Auenwälder wie der Hintere Bruch bei Heppenheim oder die Erlache bei Bensheim.
Gerade in diesen Schutzgebieten gelten bisher höhere Standards – etwa 15 Habitatbäume pro Hektar oder der Verzicht auf kahlschlagähnliche Schirmschläge. „Wenn diese Regeln aufgeweicht werden, geht das Herzstück unseres europäischen Naturschutznetzes verloren“, warnt Kärchner.
Verlust alter Baumriesen
Nach Auswertung des NABU Hessen soll auch der Schutz sogenannter „Methusalembäume“ fallen. Bisher mussten alle Bäume mit mehr als einem Meter Stammdurchmesser erhalten bleiben. Künftig sollen nur noch „ausgewählte Exemplare“ geschützt sein. „Solche Baumriesen sind das Gedächtnis des Waldes. Sie haben Jahrhunderte überlebt und geben ihre Widerstandsfähigkeit über Samen an die nächste Generation weiter. Ihre Fällung wäre ein ökologischer Kahlschlag“, erklärt Kärchner.
NABU fordert Stopp der Absenkung
Der NABU Bergstraße fordert die Landesregierung auf, die im Jahr 2024 gegebenen Versprechen einzuhalten und die geltende Naturschutzleitlinie Wald nicht zu verwässern. „Gerade in Zeiten von Klimakrise und Artensterben wäre eine Absenkung der Standards ein fatales Signal – auch an unsere Region. Wir brauchen mehr Schutz alter Wälder, nicht weniger“, betont Kärchner.
Zum Hintergrund unserer lokalen Stellungnahme
Der NABU Hessen kritisiert die geplante Absenkung der Naturschutzstandards im Staatswald.
Alle Details findest du in der landesweiten Presseinfo.