In Hemsbach fand kürzlich eine gut besuchte Informationsveranstaltung zur naturnahen Waldnutzung statt. Eingeladen hatte die Ortsgruppe des BUND Hemsbach-Langewiesenbach. Ziel der Veranstaltung war es, über Wege zu informieren, wie Wälder zukunftsfähig, ökologisch und dennoch wirtschaftlich tragfähig genutzt werden können. Auch Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung und Umweltverbänden waren anwesend.
Als Hauptreferent konnte Dr. Dr. Lutz Fähser gewonnen werden, einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der ökologischen Waldwirtschaft in Deutschland und international. Fähser war viele Jahre als leitender Forstdirektor tätig und ist Mitbegründer des sogenannten Lübecker Modells – einem forstlichen Konzept, das inzwischen bundesweit Anwendung findet.
Waldnutzung im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie
Bereits in der Begrüßung wurde betont, dass Wälder nicht nur wirtschaftlich genutzt, sondern als komplexe Ökosysteme betrachtet und behandelt werden müssen. Der Klimawandel, zunehmender Trockenstress und die schwindende Artenvielfalt fordern neue Ansätze in der Forstpolitik.
Dr. Fähser stellte heraus, dass forstliche Eingriffe stets eine Form von Störung bedeuten – auch dann, wenn sie gut gemeint sind. Eine zentrale Erkenntnis seines Vortrags lautete: Jeder Eingriff – sei es Pflege, Pflanzung oder Nutzung – reduziert in der Regel die natürliche Leistungsfähigkeit des Ökosystems. Entsprechend müsse das Ziel jeder modernen Forstwirtschaft sein, diese Eingriffe zu minimieren und auf das Notwendige zu beschränken.
Gesetzlicher Auftrag: Schutz und Erhalt der Ökosysteme
Im Vortrag wurde auf die gesetzlichen Grundlagen verwiesen, nach denen insbesondere öffentliche Wälder in erster Linie dem Erhalt der Lebens- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts dienen. Diese Formulierung findet sich sowohl in den Waldgesetzen der Länder als auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Daraus ergibt sich die Verpflichtung, Wälder nicht vorrangig unter erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewirtschaften, sondern sie als Gemeingut für Mensch und Natur zu schützen und naturnah zu entwickeln.
Das Lübecker Modell: Ein praktischer Gegenentwurf
Als Alternative zur klassischen Forstwirtschaft wurde das sogenannte Lübecker Modell vorgestellt. Es basiert auf langfristiger Naturbeobachtung, minimalen Eingriffen und der Akzeptanz natürlicher Entwicklungsprozesse. Alte Bäume bleiben erhalten, Monokulturen werden vermieden, Eingriffe werden auf ein ökologisch sinnvolles Maß reduziert.
Dieses Modell wurde 1994 in Lübeck etabliert und hat seitdem zahlreiche Kommunen in ganz Deutschland überzeugt – darunter auch Großstädte wie Stuttgart oder Darmstadt. Grundlage des Modells ist ein systemischer Blick auf den Wald: Nicht einzelne Baumarten stehen im Fokus, sondern das Funktionieren des gesamten Ökosystems.
Zertifikate und ihre Aussagekraft
Im Vortrag wurde auch die Rolle von Zertifikaten zur naturnahen Bewirtschaftung thematisiert. Genannt wurden PEFC, FSC und Naturland. Während alle drei für sich beanspruchen, eine nachhaltige Waldbewirtschaftung zu fördern, wurde das Naturland-Zertifikat als besonders konsequent in der ökologischen Ausrichtung hervorgehoben. Es basiert weitgehend auf den Prinzipien des Lübecker Modells. Dr. Fähser selbst war mehrere Jahre Vorsitzender der ökologischen Kammer des internationalen FSC-Gremiums und brachte diese Perspektive in die Diskussion ein.
Ein Plädoyer für langfristiges Denken
Abschließend wurde ein Appell an Kommunen, Förster:innen und Politik gerichtet, Waldpolitik langfristig zu denken und nicht kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen zu unterwerfen. Die heutigen Entscheidungen im Umgang mit dem Wald hätten unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität zukünftiger Generationen. Für den kommunalen Bereich wurde vorgeschlagen, den Begriff der Naturnähe konkret zu definieren und über einen möglichen Beitritt zu einem konsequent ökologischen Zertifikatssystem nachzudenken.
Fazit: Waldschutz als Gemeinschaftsaufgabe
Die Veranstaltung machte deutlich, dass naturnahe Waldwirtschaft kein theoretisches Konstrukt ist, sondern vielerorts bereits erfolgreich praktiziert wird. Entscheidend ist, dass politische Verantwortung, forstliche Fachkompetenz und zivilgesellschaftliches Engagement gemeinsam wirken. Der NABU Kreisverband Bergstraße begrüßt diese Form des offenen Austauschs ausdrücklich. Wald ist mehr als Holz – er ist Lebensraum, Klimaregulator, Erholungsort und Verbündeter im Kampf gegen die Biodiversitätskrise. Sein Schutz geht alle an.
🌲 Das Lübecker Modell – Naturnahe Waldwirtschaft mit Zukunft
Seit 1994 gilt das Lübecker Modell als wegweisender Ansatz für eine ökologische, klimastabile und verantwortungsvolle Nutzung unserer Wälder. Es orientiert sich an der natürlichen Dynamik des Waldes – nicht an forstwirtschaftlichen Zielbildern.
🔎 Grundprinzipien
- Vorrang für natürliche Prozesse: Keine Kahlschläge, keine Monokulturen, kein Einsatz von Pestiziden oder Bodenverdichtungen.
- Förderung standortheimischer Baumarten – Reduktion nicht heimischer Arten.
- Holznutzung erfolgt nach dem Minimumprinzip: nur punktuell, einzelstammweise, mit Fokus auf alte, vitale Bäume.
- Erhalt von mindestens 10 % Biotopbäumen und Totholz.
- 10 % der Fläche werden dauerhaft aus der Nutzung genommen – als Lern- und Referenzflächen.
📈 Wirkung & Ergebnisse
- Wälder mit hoher Artenvielfalt und ausgeglichenem Waldinnenklima.
- Deutliche Erhöhung der Holzvorräte bei gleichzeitig stabilen ökonomischen Erträgen.
- Förderung von Klimaresilienz: geschlossene Kronendächer verhindern Austrocknung und fördern CO₂-Bindung.
- Geringeres Risiko durch Schädlinge und Wetterextreme im Vergleich zu konventionellen Forsten.
🔁 Ein lernendes System
Das Modell versteht sich als offenes, partizipatives Managementsystem. Monitoring, Forschung (z. B. durch die Naturwald-Akademie) und externe Expertise sind integrale Bestandteile.
🏙️ Umsetzung in Kommunen
Mittlerweile arbeiten zahlreiche Städte nach dem Modell – darunter Berlin, München, Wiesbaden, Bonn, Hannover, Stuttgart und viele weitere. Über 60.000 Hektar Waldfläche werden nach den Prinzipien des Lübecker Modells bewirtschaftet.
Weitere Infos: www.naturwald-akademie.org