ABU kritisiert starken Rückschritt beim Schutz der hessischen Wälder
Wetzlar – Der NABU Hessen kritisiert den heutigen Landtagsbeschluss, die Zertifizierung des hessischen Staatswaldes mit dem natur- und sozialverträglichen FSC-Siegel auszusetzen. Was von der Landesregierung als Moratorium zur Evaluierung der FSC-Standards verkauft werde, sei in Wirklichkeit ein „Trojanisches Pferd“. „Wer wirklich nur die Funktionsweise der Zertifizierung prüfen möchte, kann das viel leichter im laufenden Betrieb erledigen. Man schaltet ja auch keinen Motor aus, wenn man seine Funktion überprüfen will. Ein Wald ohne FSC ist wie ein Auto ohne TÜV“, so Maik Sommerhage, Landesvorsitzender des NABU.
Der NABU sieht in der Beschwichtigungsrhetorik der Landesregierung mit dem Moratorium nur den Versuch, einen erheblichen Rückschritt in der Waldpolitik zu verschleiern. Die Pressemitteilung des Umweltministeriums zur Landtagsdebatte von FSC vom 16. Mai habe offengelegt, worum es dem Land tatsächlich gehe: „Die Vorgaben zu Baumarten, Holznutzung, Pflanzenschutz sowie zur Befahrung von Flächen sind aus Sicht vieler Praktiker nicht mehr zeitgemäß“ erklärte darin der Forstminister. Diese Aussage war sehr überraschend. Denn in der Beschlussvorlage des Landtags war formuliert, dass die bisher gültigen Richtlinien zur Bewirtschaftung des Staatswaldes weitergeführt werden.
Dass der Landesbetrieb auch in Eigenverantwortung diese hohen Standards halten könne. „Das Land will also mehr Bäume fällen, mehr Gift im Wald, mehr Bodenverdichtung und mehr nichtheimische Arten“, so Andrea Pfäfflin, Waldexpertin des NABU Hessen. Im Koalitionsvertrag sei eine „Mobilisierung der Holzvorräte“ angekündigt worden. Es solle stärker eingeschlagen werden – das sei das Gegenteil von Walderhaltung und Klimaschutz. Der SPD wirft der NABU vor, dieses „Trojanische Pferd“ nicht erkannt und selbst in den Landtag geschoben zu haben. Und dies, obwohl die SPD den FSC-Standard seit vielen Jahren als Mindeststandard der Forstbewirtschaftung ansieht.
Ohne verlässliche Standards, ohne eine unabhängige externe Kontrolle gibt es keine Sicherheit und Stabilität in der Bewirtschaftung der hessischen Wälder, so der NABU. Dies mache das Sterben von etwa 12% des hessischen Waldes in den letzten Dürrejahren offensichtlich: Denn gestorben sind hier vor allem die nicht-standortgerechten Fichtenbestände, deren Pflanzung eine gravierende Fehleinschätzung der Forstwirtschaft gewesen sei. Am stabilsten im Klimawandel sei ein naturnaher Wald mit europäischen Baumarten, die hier schon seit zehntausenden von Jahren angepasst sind und viele Klimaveränderungen miterlebt haben, betont der NABU. Ohne die FSC-Zertifizierung werde der Wald auf mehr Flächen mit schweren Maschinen befahren. Das führe zu mehr Bodenverdichtung und weniger lebenswichtigen Mykorrhiza-Pilzen, die in Symbiose die Bäume unterstützen. „Daraus resultieren eine geringere Wasserspeicherkapazität und eine größere Hochwassergefahr – das ist das Gegenteil von Klimawandelanpassung, was der Landwirtschaftsminister gestern noch in seiner Regierungserklärung gefordert hatte“, erklärte Pfäfflin.
Das Landwirtschaftsministerium verweist auf das noch geltende PEFC-Siegel als angeblich international höchsten Standard. Aber welchen Wert hat ein Siegel, dass nur sehr wenige Stichproben-Prüfungen macht? Wer nichts zu verbergen habe, fürchtet keine jährliche Kontrolle der forstlichen Praxis, sondern nehme ein FSC-Zertifikat, das den Verkaufspreis des Holzes erhöht, gerne mit, so Pfäfflin. Bei einem Ausstieg aus der FSC-Zertifizierung müsse sich Hessen vielmehr auf Bundesebene stark machen für ein neues Bundeswaldgesetz. Die heimischen Wälder brauchten einen besseren Schutz und die Forstwirtschaft klare Rahmenbedingungen zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel über bessere Bewirtschaftungsstandards.
Der Bodenschutz des FSC-Standards sichere die Stabilität der Wälder und ihre Resilienz im Klimawandel. FSC helfe auch der Artenvielfalt, denn es verlange 10 Habitatbäume pro Hektar. FSC begrenze nicht-heimische Baumarten, die den heimischen Tierarten nur beschränkt als Nahrungsquelle dienen. Und FSC verbiete Gift im Wald, das Insekten oder Mäuse tötet und über die Nahrungskette auch andere Tiere schädigen könne. FSC sei kein Naturschutz-Siegel, sondern ein im Konsens zwischen Waldbesitzern, Handel, Gewerkschaften und Umweltverbänden entwickelter Kompromiss.
Es sei keine „grüne Ideologie“, wie es die neue Landesregierung gerne darstelle, sondern ein vernünftiger und zukunftsfähiger Waldbewirtschaftungsstandard im Klimawandel. „Mit der Einführung des FSC-Zertifikats wurde ein langer Konflikt zwischen Forst und Naturschutz befriedet. Ein Verzicht zerstört das gewachsene Vertrauen, zwingt die Bürger wieder zur kritischen Beobachtung der Behandlung ihres Bürgerwaldes und in den Konflikt mit dem Förster vor Ort“, kritisiert Pfäfflin. Der neue Weg der Landesregierung setze auf Konfrontation statt auf Kooperation. Hessen kapituliere, während andere Länder es können: Die FSC-Zertifizierung wird auch in den Landesforsten von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Hamburg und in Teilen von Brandenburg und Sachsen erfolgreich praktiziert.
Foto: picture-alliance / dpa | Ein Förster sprüht das FSC-Logo auf Baumstämme